Kapitel:
01 Die Erweiterung des Emskanals und die kolonialen Pläne der Stadt (00:00)
02 Kaiser Wilhelm in Dortmund (05:43)
03 Deutsche Unternehmen in Namibia: Koloniale Gewalt im Eisengeschäft (08:50)
Weitere Stationen:
Triggerwarnung: Rassistische Gewalt
Der Dortmunder Hafen ist mit 11 Kilometern Uferlänge und zehn Hafenbecken heute der größte Kanalhafen Europas. Wenn man an der U-Bahnhaltestelle Hafen aussteigt, hat man das Hafenamt vor Augen. Auf der Brücke neben der A45 wird es abends von Scheinwerfern beleuchtet, was diesen Ort irgendwie romantisch wirken lässt. Zurzeit ist das in der Nordstadt Dortmunds liegende Gelände in einer Umbauphase. Das Hafenamt soll im Zuge der Umbauarbeiten wieder zum Wahrzeichen der Stadt und der Hafen zu einem neuen Zentrum der Nordstadt aufblühen. Das umliegende Gebiet soll Platz für Cafés, Bars und Kreativwirtschaft bieten. Eine Promenade soll den Hafen zu einem modernen Begegnungsort der Metropolregion machen. Wie kam es zu dem Bau des Hafens und was erzählt uns dieser Ort im Kontext der deutschen Kolonialgeschichte? Wir nehmen dich mit auf eine kleine Tour durch die Geschichte des Hafens.
In der Mitte des 19.Jahrhundert gab es die ersten Ideen für eine künstliche Wasserstraße, die nach Dortmund führen und die kleine Industriestadt zu einem Handelspunkt machen sollte. Mit dem Ausbau des Ems-Kanal wurde im Auftrag der Stadt das östliche Ruhrgebiet mit der Nordsee verbunden. Die neue Zufahrt zum Meer sollte die geographisch benachteiligte Lage des östlichen Ruhrgebiets aufheben und strategisch das Deutsche Kaiserreich mit außereuropäischen Gebieten verknüpfen. Das deutsche Kaiserreich unter Kaiser Wilhelm I. stieg zwar erst 1884 in das europäische Kolonialgeschäft ein, doch gab es schon vorher laute Stimmen im politischen Diskurs Dortmunds, die sich für das Kolonialisierung einsetzten.
Bereits im Jahresbericht 1879 der Dortmunder Industrie- und Handelskammer bemängelte die Handelskammer – ein regional organisierter Verband von Unternehmen -die ungenutzten Chancen auf kolonialen Besitz. Handelskolonien seien lukrativ und strategisch notwendig. Kolonien seien genauso wichtig für die Sicherheit und den wirtschaftlichen Aufstieg wie eine “mächtige Flotte” oder ein “verteidigungsfähiges Kriegsheer”. Mit der benachteiligten geografischen Lage sei Deutschland nicht konkurrenzfähig und müsste aufgrund der geringen Küstenentwicklung aufholen, um mit anderen europäischen Nationen mithalten zu können, so heißt es im Bericht. Mit einer überregionalen Wasserstraße zum Meer könnte Deutschland auch die Zölle vermindern, die durch den Handel mit Großbritannien, Belgien, Frankreich und den Niederlanden entstanden waren. Und damit unabhängiger, größer, mächtiger werden. In den Jahresberichten der darauf folgenden Jahre – bis zur Inbesitznahme der Gebiete auf dem afrikanischen Kontinent und in Asien um 1884, spricht sich die Industrie- und Handelskammer im Namen wirtschaftlicher Akteure vehement für den Einstieg in das koloniale Geschäft Europas aus. Vor und mit der Beschaffung der deutschen Kolonien formierten sich in der Stadt pro-koloniale Bewegungen, darunter auch die 1888 gegründete Dortmunder Abteilung der Deutschen Kolonialgesellschaft. Diese war die wichtigste Organisation der deutschen Kolonialbewegung und sie existierte bis 1941. In der Handelskammer waren vor allem die großen Unternehmen der Region vertreten. Und fast alle Unternehmen, die in der Handelskammer vertreten waren, waren ebenso Mitglieder der Deutschen Kolonialgesellschaft.
Kaiser Wilhelm II., der 1888 zum neuen Kaiser gekürt wurde, wollte den Gedanken vom deutschen “Platz an der Sonne” befördern. Er wollte das deutsche Kaiserreich als Weltmacht etablieren. Die Argumentation wirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Gruppen deckte sich also mit den Vorstellungen von Kaiser Wilhelm II. Er stand nun hinter den Interessen der industriellen Akteure, die mit dem Kanalbau eine Konkurrenz zur Seeverbindung in Rotterdam schaffen und somit unabhängig von den Niederlanden Handel betreiben wollten.
Es gab auch Stimmen gegen die Umsetzung des Projekts. So kam es im preußischen Abgeordnetenhaus des öfteren zu Konflikten. Die größten Gegner waren ostdeutsche Industrielle und Großgrundbesitzer. Bei ihnen herrschte sie Sorge, dass Importe ihnen Konkurrenz mit dem Getreidehandel bringen und deshalb auch die Landflucht steigern würde. Diese Stimmen wurden aber übergangen, da sich nationale Interessen mit dem Projekt des Kanals verbinden ließen.
Im Jahre 1899 wurden der Ausbau des Ems-Kanal und der Bau des Hafens abgeschlossen.
Die Eröffnung löste in Dortmund große Begeisterung aus, denn nun war Dortmund von einer Stadt ohne Verbindung zum Meer zur Hafenstadt geworden. Am 11.August 1899 reiste Kaiser Wilhelm II. aus Berlin an, um den Hafen mit einer Rede feierlich einzuweihen. Das sogenannte Kaiserzimmer, das sich oben im Hafenamt befindet, ist ihm gewidmet. Ein Hinweis auf sein großes Engagement, den Bau zu realisieren. Damit gewann auch der Wirtschaftsstandort Dortmund an Bedeutung.
Diese Art von Infrastrukturausbau steht für die deutschen Kolonialinteressen und für eine Durchsetzung der nationalen Interessen über die Grenzen des Landes und Europas hinaus. Der Bau des Hafens ist nicht nur für Dortmunds Infrastruktur relevant, sondern Teil der Kolonialvisionen. Wirtschaftliche Interessen spielten dabei eine essentielle Rolle. Kolonialwaren wie Tee, Kaffee, Tabak oder Palmöl sollten importiert und dementsprechend in den Kolonien in großen Mengen angebaut werden. Doch der Import von Konsumgütern fand nicht die hohe Nachfrage, die sich die Dortmunder Unternehmen erhofft hatten. Der Fokus des kolonialen Handels durch die Dortmunder Industrie konzentrierte sich deshalb vielmehr auf den Import von Eisen- und Kupfererz und den Export von fertigen Eisenwaren. So wurde unter anderem Eisen- und Kupfererz aus den deutschen Kolonien, wie dem heutigen Namibia und Togo importiert und Eisenbahnmaterial exportiert.
Fährst du mit der S4 in Richtung Lütgendortmund, kannst du zwischen den Haltestellen Dorstfeld und Marten Süd auf der rechten Seite große Baggerschaufeln und andere Maschinenteile sehen. Bis zur Mitte des Jahres 2021 befand sich dort das Caterpillar-Werk, ein Werk, das eine lange Tradition des Maschinenbaus repräsentiert. Das Werk wurde 1893 von Alfred Koppel und Benno Orenstein gegründet. Das Unternehmen Orenstein & Koppel nutzte das Caterpillar-Gelände zur Herstellung von Wagen, Weichen und anderen Materialen für Eisenbahnen, die dann auch über den Dortmunder Hafen exportiert wurden. Im übrigen wurde Orenstein & Koppel mit Kapital der Deutschen Bank und der Dresdner Bank gegründet.
Von 1903 bis 1906 war Orenstein & Koppel neben der Otavi Minen- und Eisengesellschaft und dem Schiffbauunternehmen Woermann Shipping Lines am Bau der Otavi Bahn im damaligen Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, beteiligt. Die Otavi Bahn, mit einer Strecke von 600km, war zu der Zeit die längste Feldbahnstrecke der Welt. Sie wurde zum Zweck errichtet, Kupfererz von den Vorkommen durch das Land zu transportieren. Zum Abbau der Ressourcen schlossen sich die genannten deutschen Unternehmen und weitere britische Industrielle zur South West Africa Company zusammen. 1892 erhielten sie von der deutschen Regierung umfassende Land- und Minenrechte, die dazu befugten Grundbesitz und Eigentum zu erwerben und das Gebiet weiter zu erschließen.
Seit der unrechtmäßigen Inbesitznahme des Landes 1904 und der darauffolgenden systematischen Plünderung gab es etliche Aufstände und Aktionen, mit denen sich lokale Gruppierungen wie die Herero und die Nama gegen die Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen der deutschen Besetzer wehrten. 1906 schaffte es ein Aufstand der Herero den Bau der Eisenbahn zu stören. Die Herero überfielen Handelsniederlassungen und andere koloniale Einrichtungen, belagerten Militärstationen und blockierten Bahnlinien. Die Kolonialisten schlugen die Aufstände gewaltvoll nieder. Im Mai 1904 übernahm der General Lothar von Trotha, der für seine besonders brutale Vorgehensweise bereits bekannt war, das Kommando. Er erhielt von Kaiser Wilhelm II. persönlich den Befehl, den Aufstand mit allen Mitteln niederzuschlagen. Von Trotha befahl im Oktober 1904 die völlige Vernichtung der Herero und im April 1905 die der Nama. Schätzungen nach wurden bis zu 100.000 Menschen von den deutschen Truppen vor Ort ermordet, in die Wüste gedrängt oder sie starben in den vom Deutschen Reich errichteten Konzentrationslagern.
An den Herero und Nama und weiteren Gruppierungen beging Deutschland den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts. Sowohl die drei am Bau beteiligten Unternehmen, als auch die Bundesregierung, wurden von den Herero vor US-amerikanischen Zivilgerichten auf Sklavenarbeit verklagt. Denn Orenstein & Koppel unterhielt für den Bau der Bahn ein Lager mit 1.300 Zwangsarbeiter*innen. Die Klage musste jedoch zurückgezogen werden, weil Deutschland mit dem Gang vor den Internationalen Gerichtshof drohte.
Die Auswirkungen der kolonialen Geschichte auf deutsche Wohnorte sind groß. Die kolonialen Bilder, die bis in die Gegenwart weitervermittelt werden, prägen genauso unsere Alltagsorte, wie die städtebaulichen Strukturen, die bis heute bestehen bleiben. Im Fall des Hafens in der Nordstadt Dortmunds lassen sich diese kolonialen Strukturen auch verfolgen. Zum Beispiel, wird die Nordstadt als migrantisiertes Viertel immer wieder zum Ort von Kriminalität und Unordnung gemacht. Medien bezeichnen das Viertel als “No-Go-Area. Das Lüchow-Danneberg-Syndrom beschreibt, dass sich in Orten, die eine erhöhte Polizeipräsenz haben, auch die statistisch erfassten Straftaten erhöhen. Die Nordstadt ist so ein Ort. Ein Ort, der allein durch die bloße Anwesenheit und den Fokus der Polizei krimineller eingeschätzt wird.
Die Geschichte des Hafens kann also innerhalb der Strukturen, in die er eingebettet ist, auf verschiedene Weise mit Kolonialgeschichte verknüpft werden. Der Hafen ist damit ein Symbol der deutschen Politik und Kapitalinteressen. Um ökonomische Vorteile zu erhalten wurden Infrastrukturen geschaffen, die es möglich machten auf Rohstoffe in außereuropäischen Gebieten zugreifen zu können. Das Hafenamt mit dem Kaiserzimmer wurde Ende des 19.Jahrhunderts zum Wahrzeichen der Stadt ausgewählt. Heute soll es zu eben diesem wiederbelebt werden. So eine Überschreibung zentraler kolonialer Infrastruktur findet zum Beispiel auch mit der Hamburger Hafen City und dem Humboldt Forum in Berlin statt.
Literatur
Der Bau des Hafens:Dortmunder Hafen 21. Abgerufen von https://www.dortmunder-hafen.de/hafen/historie/
75 Jahre Dortmunder Hafen. 1899-1974: Dortmunder Hafen und Eisenbahn AG. Stadtarchiv Dortmund
Jahresbericht der Industrie und Handelskammer 1879. Stiftung Westfälisches Wirtschaftsarchiv.
Kaiser Wilhelm II. – Die kaiserliche Flotte. Zuletzt aktualisiert am 21.03.2017, Abgerufen von https://www.planet-wissen.de/geschichte/persoenlichkeiten/kaiser_wilhelm_der_zweite/pwiediekaiserlicheflotte100.html#:~:text=Zur%20Er%C3%B6ffnung%20des%20Freihafens%20in,Reichstag%20das%20erste%20deutsche%20Flottengesetz.
80 Jahre Dortmunder Hafen: Dortmunder Hafen AG. Stadtarchiv Dortmund.
Brum, Detlev:Wirtschaft. Dortmund postkolonial. Abgerufen von http://www.dortmund-postkolonial.de/?page_id=171
Berigs, Carsten: Orenstein und Koppel. 125 Jahre Baumaschinen, Lokomotiven und Traktoren. Stiftung Westfälisches Wirtschaftsarchiv.
Otavi Minen und Eisenbahngesellschaft. Stiftung Westfälisches Wirtschaftsarchiv.
Bundeszentrale für politische Bildung. Januar 1904: Herero-Aufstand in Deutsch-Südafrika. Zuletzt aktualisiert 10.01.2014, abgerufen von https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/176142/herero-aufstand-10-01-2014
Häussle,Matthias; Eckl,Andreas: Der erste Völkermord des 20.Jahrhunderts. Zuletzt aktualisiert am 02.12.2021, abgerufen von Lothar von Trotha und der Genozid an den OvaHerero (nzz.ch)
Nault, Derick M.: Africa and the Shaping of International Human Rights. Oxford
Jawabreh, Simon (2021): Race regieren- (post-)koloniale Regierungsweisen: Polizeiliche Grenziehung im städtischen Raum. Aus Stadt und Rassimus: Analysen und Perspektiven für eine antirassistische Urbanität. Herausgegeben von Eckhardt, Frank; Bouguereau, Hamidou Maurice. Unrast Verlag Münster.