Robert-Koch-Straße

Kapitel:

Die Schlafkrankheit und Kolonialmedizin (1:10) 

Experimente an Menschen im Namen der Forschung (07:53)

Koloniale Kontinuitäten (12:03)

Weitere Stationen:

Triggerwarnung: Menschenversuche, rassistische Gewalt

Läuft man die Kaiserstraße mit ihren vielen Läden, Restaurants und Cafes Richtung Osten entlang, kommt man am Bismarck Café vorbei, dass an der Ecke zur Bismarckstraße steht. Eine Querstraße weiter findet man fast am Ende der Kaiserstraße rechts die Robert-Koch-Straße, die einen weiter entlang des Ostfriedhofs führt. Deutschlandweit erinnern Straßen und Plätze an Robert Koch. So auch die Robert-Koch-Straße im Dortmunder Kaiserviertel. Robert Koch war ein deutscher Mediziner und gilt noch immer als erfolgreichster Arzneimittelforscher des 20. Jahrhunderts. 1905 bekam er den Nobelpreis für die Entdeckung des Tuberkuloseerregers. Außerdem leitete er das Institut für Infektionskrankheiten, das heutige Robert-Koch-Institut.

Für das deutsche Kaiserreich dienten Medizin und Forschung dazu, die eigenen kolonialen Bestrebungen, zu legitimieren. Bis heute wurden die Verbrechen, die von Deutschland zu dieser Zeit im Namen der Wissenschaft begangen wurden, wenig besprochen, darunter auch das Testen von unerforschten Mitteln an Menschen. Deutsche Wissenschaftler*innen wie Robert Koch, nutzen die kolonialisierten Gebiete auf dem afrikanischen Kontinent und deren Bewohner*innen als ein Versuchslabor, um unbegrenzt medizinische Tests durchzuführen. 1906 leitete Robert Koch eine sogenannte Expedition nach Ostafrika, in das heutige Tansania und Uganda, um dort die Schlafkrankheit zu erforschen. Dies war nicht seine erste koloniale „Expedition“ außerhalb von Europa. Zuvor reiste er zur Erforschung von Cholera (koo-lee-raa)  nach Indien und zur Bekämpfung von Malaria nach in Neuguinea. Gefährliche Experimente an Menschen wurden in Deutschland durch immer lauter werdende Beschwerden der Öffentlichkeit unmöglich. In den Kolonien konnten diese jedoch ohne Kontrollen und geschützt durch Militär und Polizei durchgeführt werden. Die Medikamentenforschung am Menschen war deshalb auch kein seltenes Phänomen in den Kolonien.

Die Schlafkrankheit wird von der Tsetsefliege übertragen und ist zunächst vor allem in Westafrika aufgetreten. Durch die koloniale Verkehrserschließung – dem Bau von befahrbaren Wegen und Eisenbahnstrecken, um Rohstoffe transportieren zu können –  wurde die Tsetsefliege weiter nach Osten getragen. Zwischen 1901 und 1905 starben deshalb in Ostafrika rund eine Viertel Millionen Menschen an der Schlafkrankheit. Forschungen haben gezeigt, dass der europäische Kolonialismus einen entscheidenden Beitrag zur Verbreitung von Epidemien geleistet hat. Dabei wurden nicht nur ortsansässige Krankheiten weitergetragen, sondern auch aus Europa mitgebrachte. Uganda, welches an das damalige Deutsch-Ostafrika grenzte, war besonders stark von der Schlafkrankheit betroffen. Obwohl es Teil der britischen Kolonien war und große imperialistische Konkurrenz auf dem Kontinent herrschte, wurde die Epidemie als gemeinsames Problem betrachtet und sollte gemeinsam bekämpft werden. Der Antrieb zur Bekämpfung war jedoch kein humanitärer, sondern vielmehr ein von Selbstzweck geprägter /paternalistischer. Durch Epidemien wie der Schlafkrankheit starben große Teile der Bevölkerung, die von europäischen Mächten als Arbeitskräfte benötigt wurden, um die wirtschaftlichen Interessen wie die Ausbeutung der lokalen Ressourcen verfolgen zu können. Die Kolonialisten profitierten von der Erforschung und Behandlung von Krankheiten wie beispielsweise Malaria. Denn die Sicherung der Gesundheit der Europäer*innen ermöglichte erst das weitere Vordringen in die kolonialen Gebiete und damit die Stabilisierung der Herrschaft.

Für die Behandlung der Schlafkrankheit verwendete Robert Koch Atoxyl, auch Arsanilsäure genannt. Dieses verabreichte er schnell in einer hohen Dosierung, anstatt sie versuchsweise mit geringen Mengen zu steigern. Dabei kam es zu schweren Nebenwirkungen wie Übelkeit, Schwindelgefühl, kolikartige* Schmerzen, dem Verlust der Sehkraft bis hin zum Tod. Aus Kochs Aufzeichnungen wird deutlich, dass die erkrankten Menschen nicht freiwillig zu seiner Behandlung kamen, sondern „aufgesucht“ werden mussten. Hinter diesem Begriff, des “Aufsuchens von Personen” konnte sich in den Kolonien eine Vielzahl von Dingen verbergen, von Überzeugungsversuchen, über Strafandrohung bis hin zu gewaltsam erzwungener Fügsamkeit. Viele Menschen wehrten sich, doch ihr Widerstand wurde meist gewaltsam gebrochen. Fundament der kolonialmedizinischen Forschung bildeten rassistische Überlegenheitsvorstellungen sowie gewaltsam durchgesetzte Herrschaftsverhältnisse. 

Aufgrund der schweren Nebenwirkungen wurde die hohe Dosierung zunächst zurückgenommen und eine lange Liste anderer Medikamente angewendet, die zuvor nur an Tieren getestet wurden und auf deren Erprobung an Menschen in Deutschland zum Teil bewusst verzichtet wurde. Solche Bedenken galten in den Kolonien jedoch nicht.

Im Zuge der Erforschung von Krankheiten richtete die Kolonialherrschaft auch Schäden in der Flora und Fauna der besetzten Gebiete an. Um die Tsetsefliege als Überträgerin der Schlafkrankheit auszurotten, wurden ganze Landstriche gerodet, um ihr – in dem kolonialen Glauben die Natur beherrschen zu können – den Lebensraum zu nehmen. Meist tauchte sie jedoch an einem anderen Ort wieder auf, weshalb zur Umsiedlung der Bevölkerung übergegangen wurde. Zahlreiche Menschen verloren dadurch ihr Wohngebiet und ihre Lebensgrundlage. Zwischen 1912 und 1914 wurden im heutigen Kamerun die Douala gewaltsam umgesiedelt und enteignet – legitimiert durch medizinische Gutachten, die dies als Maßnahme zur Seuchenprävention begründeten:

„Man könne dazu übergehen, die ganze Bevölkerung verseuchter Gebiete in gesunde Gegenden zu versetzen; die infizierten Individuen würden dann, da die Sterblichkeit ohne Behandlung eine absolute sei, ausnahmslos zugrunde gehen, damit werde dann die Seuche erlöschen“ 

Diese Aussage Kochs verdeutlicht, dass er nicht an der Heilung der Krankheit für die lokale Bevölkerung interessiert war. 

Eine weitere Bekämpfungsstrategie Kochs war es, die infizierten Personen in Konzentrationslagern zu isolieren. Es wurden an der Schlafkrankheit erkrankte Menschen und jene, bei denen es nicht sicher war, ohne Einwilligung unter grausamen Bedingungen festgehalten. Kochs Lager, wie später auch andere Schlafkrankenlager, dienten als Experimentierfeld für die europäische Medizinforschung und als Vorbild für die zukünftigen Konzentrationslager während des Nationalsozialismus. Koch hielt Atoxyl trotz der bekannten Gefahren weiterhin für das geeignetste Medikament. In zehn Lagern und sechs medizinischen Posten waren von 3.033 Erkrankten nur 71 geheilt worden, 386 Menschen verstarben. 1010 Patient*innen gelang es, aus den Lagern zu flüchten, und damit vor den lebensgefährlichen Versuchen. Das Konzept der Schlafkrankenlager wurde später auch in Togo und Kamerun eingesetzt. Mit über einem Dutzend Präparate und unterschiedlichen Dosierungen wurde dort an den Körpern der Menschen experimentiert. Die Interessen der Betroffenen blieben natürlich unberücksichtigt. Sie wurden in den Aufzeichnungen und Tagebüchern ausschließlich als Forschungsgegenstände beschrieben und damit vollkommen entmenschlicht. Menschen rassifizieren und zu Objekten machen ist charakteristisch für die koloniale Medizin. Medizin und Heilpraxis gab es auf dem Kontinent natürlich schon vor der Ankunft der Europäer*innen. Da diese nicht der eurozentrischen Vorstellungen entsprachen, wurden sie als gefährlich betrachtet und verboten. Dennoch waren die kolonialen Ärzt*innen vom lokalen Wissen abhängig und griffen auf dieses zurück, beispielsweise im Bereich der Heilpflanzen oder für die Beschreibung von Krankheitsverbreitung und -symptomatik. – Ohne dabei die Urheber*innen dieses Wissens anzuerkennen. 

Nach Kochs Forschung dauerte es noch 20 Jahre bis der Firma Bayer die Entwicklung des wirksamen Medikaments Suramin gelang. Die Entdeckung wurde für kolonialrevisionistische* und nationalsozialistische Propaganda verwendet. Obwohl für dessen Entwicklung Versuche an zwangsinternierten Menschen durchgeführt wurden, wird es auch heute noch oft als eine Errungenschaft der deutschen Tropenmedizin betrachtet.

Bei der Kolonialmedizin ging es nie darum Menschen zu helfen, sondern darum neue Erkenntnisse für die deutsche Wissenschaft und Pharmaindustrie zu erhalten und den ökonomischen Aufschwung durch die Kolonien zu erreichen. Dafür wurden den Menschen von den Kolonialärzt*innen ohne Grund schmerzhafte Öl- und Salzlösungen gespritzt oder sie wurden in der Wüste ausgesetzt, um zu sehen, wie lange sie dort überleben. Trotzdem wird auch heute die deutsche Kolonialzeit häufig damit abgetan, die Deutschen hätten bloß Forschung betrieben, jedoch wird selten thematisiert wie geforscht wurde.

Seit der Corona Pandemie ist der Name Robert Koch, dank des nach ihm benannten Instituts, wieder in aller Munde. Das RKI selbst tut die Verbrechen an der Menschheit, die Robert Koch und sein Team begangen haben, auf ihrer Homepage zwar als „dunkelstes Kapitel seiner Laufbahn“ ab, jedoch ohne diese weiter zu thematisieren. Der Text, der die Arbeit Robert Kochs zusammenfasst, beleuchtet die Kolonialzeit in keinster Weise kritisch. Der Fokus wird von den Opfern seiner Taten auf seine medizinischen Ergebnisse umgeleitet. Damit werden die Schrecken des Kolonialismus und die Täterschaft Robert Kochs ein weiteres Mal relativiert und verharmlost. Seit Jahren und immer wieder aufs Neue gibt es die Forderung von zivilgesellschaftlicher Seite das Robert Koch Institut sowie nach ihm benannte Straßen umzubenennen.

Die kolonialrassistische Darstellung des afrikanischen Kontinents als „Reich der Seuchen“ prägen auch die heutige Zeit.  In Medienberichten über AIDS oder Malaria wird der Kontinent als rückschrittlich, gefährlich und hilfsbedürftig erzählt, während die heutigen kolonialen Machtverhältnisse und Errungenschaften der Wissenschaft auf dem Kontinent außer Acht gelassen werden. Mithilfe dieser Erzählung kann sich Europa weiterhin als Retter nicht-europäischer Gesellschaften inszenieren. Eine aktuelles Beispiel ist die rassistische Berichterstattung über die Omikron* Variante des Coronavirus, welches in Südafrika entdeckt wurde, jedoch erwiesenermaßen nicht dort seinen Ursprung hat. Unter anderem durch die ZDF Sendung Heute Journal mit rassistischen Bildern und die RheinPfalz sowie die Welt mit rassistischer Sprache. Auch die Aussage der französischen Ärzte, die vorschlugen den Corona-Impfstoff zunächst auf dem afrikanischen Kontinent zu testen, zeigen die Kontinuität des Bildes vom afrikanischen Kontinent als Testlabor.

In den USA verklagten Nachkommen der Herero und Nama 2017 die Bundesregierung für den Völkermord, den deutsche Truppen 1904-1908 an ihnen begingen. In der Klageschrift steht unter anderem, dass deutsche Ärzt*innen an lebenden Herero-Gefangenen medizinische Experimente in Konzentrationslagern durchgeführt haben. Bis heute fordern sie dafür eine Entschädigung, jedoch lehnte das US-Gericht die Völkermord-Klage 2019 ab.

1909 bis 1913 kamen bei unsauber durchgeführten Pockenimpfungen in der damaligen deutschen Kolonie Togo hunderte von Menschen ums Leben. Der Pockenimpfstoff war damals bereits gut erforscht, bei der Verschiffung aus dem Reichsgebiet nach Togo war der Impfstoff jedoch verfallen, weswegen Kolonialärzte begannen den Lebendimpfstoff vor Ort zu züchten. Sie führten jedoch keine vorgeschriebene Wirksamkeitsprüfung durch. Der Impfstoff, den sie züchteten war nicht wirksam. Da die Menschen daraufhin den Kolonialärzt*innen misstrauten, zwangen koloniale Behörden sie zur Impfung. 

Auch heute noch finden Medikamententests in afrikanischen Ländern statt, die nicht die ethischen Standards erfüllen. Knapp die Hälfte aller Medikamententests lassen beispielsweise US-Unternehmen in Ländern des globalen Südens durchführen. Der Pharmakonzern Pfizer, der zusammen mit BioNtech den Corona Impfstoff entwickelte, führte 1996 in Nigeria Medikamententests an Kindern durch. Und das mit einem nicht zugelassenen Medikament. Dabei kamen elf Kinder ums Leben. 2012 gab es in Gouro, im Tschad eine Impfkampagne gegen Meningitis, gestützt von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung, bei dem 500 Kinder zwischen 1-15 Jahren geimpft wurden. Nach kürzester Zeit sind drei Kinder krank geworden und ihr Zustand verschlechterte sich. Trotzdem wurde an den darauffolgenden Tagen weiter geimpft. 105 Kinder wurden krank, 40 davon schwer. Ahmat Hassan, Journalist aus dem Tschad, schreibt über diesen Fall, der nie aufgeklärt wurde und aus dem keine Konsequenzen folgten. Er vermutet, dass die Kühlkette des Impfstoffs unterbrochen wurde, was zu den Krankheitsfällen führte. Er sagt zudem auch, dass die Kinder nicht wieder genesen sind.

Während des Ebola Ausbruchs 2014/15 strömten Forscher*innen, Ärzt*innen und Freiwillige nach Sierra Leone. In einem Behandlungszentrum in der Hauptstadt Freetown wurde das Herzmedikament Amiodaron verabreicht, das laut einer deutschen Laborstudie auch gegen Ebola gewirkt hatte. Dieses wurde jedoch noch nicht mal an Ratten getestet. Das Medikament wurde von der WHO sowie der Regierung Sierra Leone nicht als Ebola Medikament zugelassen. Das Behandlungszentrum Lakka wurde von der italienischen NGO „Emergency“ betrieben. Die Pfleger*innen waren Freiwillige aus Großbritannien. Die Versuche  wurden von diesen ans Licht gebracht, weil die Injektion hoher Dosen bei einigen Patient*innen zu Atemwegserkrankungen und Entzündungen führten. Die Sterberate lag bei 67%. Daraufhin wurden die Tests gestoppt, aber auch hier folgten keine Konsequenzen. Es gab keine Ermittlungen, Gerichtsverfahren oder Entschädigungen. Chernoh Bah erforschte das Vorgehen weißer Forscher*innen und Ärzt*innen zu Ebola und schrieb darüber das Buch “The Ebola Outbreak in West Africa: Corporate Gangsters, Multinationals, and Rogue Politicians”. Damit machte er die koloniale Kontinuität sichtbar.


Literatur

Dieses sind nur ein paar Beispiele, welche die koloniale Kontinuität in der heutigen internationalen Gesundheitspolitik zeigen. 

https://kritischemedizinmuenchen.de/die-verbrechen-der-kolonialen-medizin/

https://www.goettingenkolonial.uni-goettingen.de/index.php/disziplinen/medizin

https://kolonialismus.blogs.uni-hamburg.de/2020/06/11/sollte-das-robert-koch-institut-umbenannt-werden-prof-dr-juergen-zimmerer-in-spiegel-freitag-und-deutschlandfunk-ueber-die-koloniale-forschung-robert-kochs/

https://www.freiburg-postkolonial.de/Seiten/robertkoch.html

http://web.fu-berlin.de/phin/beiheft24/b24t17.pdf

Der Fall Pfizer und die Medikamententests in den Entwicklungsländern (deutschlandfunk.de)

Menschenexperimente – Robert Koch und die Verbrechen von Ärzten in Afrika (deutschlandfunk.de)